Was, wenn Paul Goesch nicht ermordet worden wäre? Gebäude, die von seinen Kollegen aus der „Gläsernen Kette“ entworfen wurden, stehen heute in Magdeburg, Istanbul und Tokyo. Hätte Paul Goesch seine architektonischen Ideen irgendwann verwirklichen können? Würden sie vielleicht heute noch in Berlin, Almaty oder Beirut stehen? Mithilfe von Künstlicher Intelligenz versuche ich diese Gedanken in Bilder zu fassen.
Was konnte Goesch realisieren?
Es sind nur drei realisierte architektonische Projekte Paul Goeschs bekannt. Zwei schwarz-Weiß-Fotos zeigen Raumausmalungen in Berlin-Schöneberg aus den 1920er-Jahren. Bei Restaurierungsarbeiten in einer Turnhalle in Dresden-Laubegast und auf einem Dachboden in Göttingen wurden Überreste von Wandgemälden freigelegt. Es ist mir ein großes Verlangen diese Leere mit Inhalten und Leben zu füllen.
Fantasie als Grundlage
Schnell wird mir klar, dass es mit wissenschaftlichen Mitteln nicht zu meistern ist. Viel zu wenig Greifbares, Messbares und Zählbares gibt es dazu von Paul Goesch. Nur eine künstlerische Intervention, eine freie, vom Zwang der Verifizierbarkeit losgelöste Arbeitsweise, kann diesem Konzept gerecht werden. Eine Arbeitsweise, die nicht Dokumente und Beweise, sondern Fantasie als Grundlage verwendet.
Künstliche Intelligenz als Werkzeug
Die bisherigen Methoden, um solche Fantasien visualisieren zu können, lagen hauptsächlich in der Zeichnung. Von dieser Methode will ich mich aber bewusst distanzieren, um nicht die Skizzen und Zeichnungen von Goesch zu imitieren. Ich will eine neue Qualität reinbringen, eine neue Optik. Zur gleichen Zeit nehme ich an einem Workshop mit dem Fotografen Boris Eldagsen teil, der mir die Grundlagen der Bildgenerierung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erklärt. Die neuen Möglichkeiten, die diese Technik bietet, erweisen sich in diesem Fall als das perfekte Werkzeug für dieses Unterfangen. Was bisher nur als Zeichnung und Skizze von Paul Goesch und in meiner Fantasie existiert, kann ich nun mit Mitteln der Fotografie darstellen.
Goeschs Handschrift
Ich stelle mir vor, wie Goeschs Arbeit weitergegangen wäre. An welchen Orten seine Projekte entstanden wären, welche Funktion sie hätten. Und im zweiten Schritt entscheide ich in welchem Setting, Kontext, Jahrzehnt die Momentaufnahme gesetzt sein soll. Ist es eine architektonisch-dokumentarische Aufnahme oder eher ein Touristen-Schnapsschuss. Goeschs Entwürfe dienen mir dabei dazu, seine Handschrift in diese Fantasiewelten zu transportieren und möglichen Projekten in einer alternativen Zukunft eine Existenz zu verleihen.
Gegenwelten
Ich spreche hier bewusst nicht von Wirklichkeit oder Realität, denn die so entstandenen Bilder haben zwar die Anmutung von Fotografien, sie sind es aber eben nicht. Um dies zu verdeutlichen, lasse ich Störungen, die im Entstehungsprozess auftauchen, absichtlich im Bild – menschliche Körper mit drei Beinen, schwebende Fahrradfahrer, Autos ohne Türen. Schaut man genau hin, findet man sie in fast jedem Bild.
Diese Störungen haben auch etwas Absurdes, Fremdartiges, Skurriles an sich. Einerseits korrespondieren sie mit so manchen skurrilen Motiven aus Goeschs Welten. Andererseits offenbaren sie die Künstlichkeit und Fantasiehaftigkeit dieser Bilder. Und sie sind die einzigen Grenzpfeiler zwischen dem Fantastischen und dem Realen, zwischen unserer Welt und der Welt da drin. Denn diese Gegenwelten, wie ich sie nenne, sind und bleiben nun mal meine Fantasiegebilde.